Wir treffen einen freischaffenden Stylisten, eine angehende Lehramt-Studentin und einen Start-Up-Mitarbeiter. In unseren Gesprächen dürfen wir erfahren, wie unterschiedlich diese jungen Biografien bereits sind: von vagen Gedanken zur Berufswahl bis hin zu fortgeschrittenen Karrieren ist bei den Protagonist*innen mit Anfang 20 alles vertreten.
Wir haben die drei in Kooperation mit der SCHUFA-Bildungsinitiative Wirtschaftswerkstatt getroffen.

Dogukan Nesanir: “Mir ist Geld wichtig, aber finanzielle Sicherheit ist mir noch wichtiger”
Als wir den 21-jährigen Dogukan Nesanir in der Redaktion vom INDIE Magazin besuchen, für das er, neben seiner zeitintensiven Arbeit als freier Stylist, die Modeleitung inne hat, zeigt er uns voller Stolz seine aktuelle Arbeit: eine Modestrecke, die in seinem Heimatort Kahramanmaras aufgenommen wurde – der Region in der Türkei aus der seine Mutter stammt und in der seine Großeltern immer noch leben.
Die ersten Karriereschritte hat Dogukan im Alter von 16 Jahren gemacht. Nach seinem damaligen Schulabbruch fand er über die Fotografie zur Mode und zum Styling. “Das erzählt sich so leicht, aber bis man sich in dem Job und in der Modebranche wirklich etabliert hat, dauert es eigentlich eher lange. Am Ende hatte ich wohl vor allem einen guten Riecher und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
In angenehm gelöster Feierabendstimmung – es ist schon nach 19 Uhr, als wir uns in die Küche der Indie Magazin Redaktion setzen –, erzählt Dogukan von seinem spannenden Werdegang und Arbeitsleben und wie er damit das Wertegerüst seiner Eltern auf den Kopf gestellt hat:

Zur Person
NameDogukan Nesanir
Jahrgang1996
GeburtsortBerlin
WohnortBerlin
JobStylist
Persönliches Vorbild„Meine Mutter.“
Dogukan, wie würdest du deinen Job als Stylist beschreiben?
Ich arbeite für Magazine und andere Kunden, meistens Werbekunden, und helfe ihnen dabei, Kollektionen zu stylen und oder stilistisch neue Wege zu gehen. Im Großen und Ganzen geht es oft darum, die Klamotte gut darzustellen beziehungsweise zu verkaufen.
Was magst du besonders an deinem Job?
Am liebsten mag ich die Vielfalt. Früher dachte ich, dass es nur Commercial- oder Magazin-Styling gibt. Jetzt erfahre ich, wie viele Facetten der Job hat und dass jeder Auftrag etwas ganz Neues mit sich bringt.
„Viel zu reisen mag glamourös klingen, ist im Alltag aber oft sehr anstrengend und eher eine Form der Überforderung, die auch an der Gesundheit nagt.“
Dogukan Nesanir
Gibt es auch etwas, dass dir nicht gefällt?
Ich reise extrem viel, was sehr anstrengend ist. Ich weiß, dass das ein Luxusproblem ist, aber was glamourös klingt, ist im Alltag oft sehr anstrengend: Nachts anreisen, sehr früh morgens am Set arbeiten und spät nachts wieder zurückfliegen. Das ist eine Form der Überforderung, die auch irgendwann an der Gesundheit nagt.
Du bist freiberuflich tätig. Was ist für dich das Beste an dieser Arbeitsform?
Die Tagesgage (lacht). Und die Freiheit und Vielfalt. Ich könnte nicht gut für das immer gleiche Unternehmen arbeiten. Für mich als Freiberufler ist es das Schönste, immer wieder neue Leute kennenzulernen – und eben keinen normalen Bürojob zu haben.
„Wenn man sich einmal einen bestimmten Lebensstandard erarbeitet hat, möchte man ihn natürlich auch gern aufrecht erhalten.“
Dogukan Nesanir
Was sind für dich die Schattenseiten der Selbständigkeit?
Die Steuern. Nein, ich mach nur Quatsch. Was ich wirklich nicht mag, ist, wie leicht man ausgenutzt wird, gerade als Berufsanfänger. Wenn der Festangestellte zum Abend Feierabend macht, kann man sich sicher sein, der Freelancer arbeitet bis in die Nacht. Ich beklage mich nicht über meine Arbeitszeiten, denn wir verdienen auch mehr als die Festangestellten, aber es fehlt einfach manchmal die Menschlichkeit.
Kannst du von deiner Arbeit leben?
Ja, auf jeden Fall.
Wie wichtig ist dir Geld und finanzielle Sicherheit?
Ich habe sehr jung angefangen Geld zu verdienen. Und wenn man sich einmal einen bestimmten Lebensstandard erarbeitet hat, möchte man ihn natürlich auch gern aufrecht erhalten. Zusammengefasst würde ich sagen: Mir ist Geld wichtig, aber finanzielle Sicherheit ist mir noch wichtiger. Jetzt Geld zu haben ist etwas anderes als Geld für die Zukunft zu haben.
Würdest du deinen Job auch machen, wenn du damit kein Geld verdienen würdest?
Das habe ich gemacht. Ich habe nach meinem Schulabbruch fast drei Jahre lang gearbeitet ohne Geld zu verdienen. Anfangs wollte ich sogar aufhören, weil ich kein Geld verdient habe und nebenbei jobben musste. Das ist der Teufelskreis: Wenn du viel nebenbei arbeitest, kannst du dich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Diese Hürde muss man meistern.
Was würdest du anderen diesbezüglich raten?
Mein Tipp ist es, viel zu arbeiten und Geld auf die Seite zu legen. Und sich dann anschließend selbständig zu machen.
„Mein Werdegang hat bei meinen Eltern etwas ausgelöst: Sie mussten ihre Werte überdenken“
Dogukan Nesanir
Welche Werte haben im Arbeitsleben deiner Eltern eine große Rolle gespielt? Und inwiefern haben sie deinen Werdegang beeinflusst?
Dass ich mit 16 von der Schule geflogen bin und sie dann abgebrochen habe, war für meine Eltern so ziemlich das Schlimmste, was passieren konnte. Meine Mutter, als studierte Juristin, und auch mein Vater hatte null Verständnis. Deshalb hatte ich auch erst einmal keinen Support von Zuhause. Meine Mutter, als moderne Frau, hat die Branche und meine Faszination zwar schon verstanden, aber sie hat nicht geglaubt, dass ich damit Geld verdienen kann. Mein Werdegang hat also bei meinen Eltern etwas ausgelöst und ihnen gezeigt, dass ihre Werte („Du musst Abitur machen und studieren!“) nicht immer stimmen müssen. Das hat natürlich gedauert: aber heute bekomme ich großartigen menschlichen Support von meiner Familie.

Elise Weiland: „Hat man erst Familie, muss man auch zurückstecken können“
Elise ist für unser Gespräch extra von Weimar nach Berlin gereist. Wir treffen sie in einem Café in Kreuzberg. Gleich nebenan wohnt ihre “große Cousine”, bei der sie für ein paar Tage untergekommen ist. Es ist ganz schön beeindruckend, wie bewusst und reflektiert die 20-Jährige bereits mit ihrer Berufswahl umgeht. Elise beginnt dieser Tage ihr Lehramt-Studium für Kunst und Deutsch, für das sie sich bewusst entschieden hat – um ihre künstlerische Leidenschaft mit einem soliden Arbeitsumfeld zu verbinden.
Dabei geht sie offen mit ihren Stärken und Schwächen um: „Eigentlich wollte ich ja Kommunikationsdesign studieren, aber der Druck, etwas zu schaffen, sich selbst zu präsentieren und um sich herum eine Marke aufzubauen, war mir zu groß. Mit dem Kunst- und Deutsch-Studium auf Lehramt kann ich kreativ sein, muss mich aber nicht zur Schau stellen.“ Bei Croissant und heißer Schokolade plaudert sie an diesem frühen, nebligen Spätsommermorgen hellwach drauf los:

Zur Person
NameElise Weiland
Jahrgang1997
GeburtsortEisenach
WohnortWeimar
StudiumGymnasiallehramt für Kunst und Deutsch in Weimar und Jena
Persönliches Vorbild„Das existiert bisher nicht wirklich. Es ist wohl eine fiktive Person mit den besten Eigenschaften der Leute aus meinem Umfeld.”
Elise, was war dir das Wichtigste bei der Berufswahl?
Da haben viele Gründe eine Rolle gespielt. Aber am wichtigsten war mir, dass ich mein Hobby zum Beruf machen kann. Das heißt, dass ich meine Interessen ganz nach oben stelle und zu meiner Priorität mache.
Was denkst du, wird dir am meisten Spaß machen als Lehrerin?
Mit Menschen zu arbeiten, finde ich schön – und trotzdem in einem kreativen Beruf zu arbeiten. Ich glaube, das ist eine gute Mischung für den inneren Seelenfrieden.
Gibt es etwas, was dir nicht so gut gefallen könnte?
Das kann ich jetzt natürlich noch nicht sagen. Was ich aber weiß: es wird für mich definitiv eine Herausforderung, dass man in dem Beruf sehr viel Konzentration braucht (lacht). Ansonsten blicke ich dem aber ganz entspannt entgegen.
„Würde Geld keine Rolle spielen, würde ich trotzdem Lehrerin werden wollen.“
Elise Weiland
Wie wichtig ist dir die finanzielle Sicherheit, die dieser Beruf mit sich bringt?
Das ist für mich schon wichtig, jedoch kein Hauptthema. Aber klar ist es schön, wenn man einen gewissen Lebensstandard hat, und sich keine Gedanken über finanzielle Dinge machen muss.
Was würdest du machen, wenn Geld keine Rolle spielen würde?
Ich glaube, dann würde ich all das machen, was ich mir so nicht leisten kann: zum Beispiel Reisen. Im Endeffekt würde ich aber trotzdem den Beruf als Lehrerin wählen, einfach, weil ich glaube, dass es das Richtige für mich ist.
„Das Wichtigste ist, dass Eltern für einen da sind und einen unterstützen – egal, was man macht.“
Elise Weiland
Welchen Einfluss hatten deine Eltern auf deine Berufswahl?
Eigentlich keinen direkten. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, egal was ich werden wollte. Sie haben die Entscheidung komplett mir überlassen. Damit haben sie mir nicht nur die Freiheit gegeben, selbst herauszufinden, was ich möchte. Sie haben mir außerdem gezeigt, dass es das Wichtigste ist, dass Eltern für einen da sind und einen unterstützen – egal, was man macht.
Gibt es etwas, das deine Eltern dir durch ihr eigenes Berufsleben vorgelebt haben?
Auch meinen Eltern war es wichtig, dass ihnen der eigene Beruf Freude macht. Aber sie haben mir auch vorgelebt, dass das, wenn man eine Familie hat, nicht mehr unbedingt an erster Stelle steht. Dann muss man sich eben auch finanziell andere Gedanken machen und zurückstecken können.
Siehst du das genauso?
Auf jeden Fall würde ich es, wenn ich selbst irgendwann Familie haben sollte, genauso machen.

Maresch Bär: „Meine Generation hat viele Möglichkeiten und ist nicht von Arbeitgebern abhängig“
Maresch Bär ist auf jeden Fall schon ziemlich gefestigt in seiner beruflichen Laufbahn. Wir treffen den 23-Jährigen an seinem Arbeitsplatz, dem Berliner Startup Perdoo. In einer Zeit, in der akademische Ausbildung eher zielorientiert verläuft und viele Absolventen nach einer Karriere im Startup-Umfeld streben, könnte man Mareschs Weg schon fast als klassisch bezeichnen.
Nach dem Abitur in der norddeutschen Kleinstadt Mölln, geht’s ohne Umwege an die Hochschule Hannover – Studiengang Public Relations. Es folgen mehrere berufsbezogene Praktika und Werkstudententätigkeiten in Software- und Digital-Unternehmen und Kommunikationsagenturen.
Mit dem Bachelor im Gepäck geht es straight nach Berlin, um beim Berliner Start-up Perdoo als Head of Communications anzufangen. Die Vorstellungsgespräche hierzu führt Maresch schon während seiner Abschlussarbeit. “So ein Einstieg gelingt natürlich nur im Start-up. Ich bekomme hier Verantwortung übertragen, ohne zuvor von einer Hierarchieebene zur nächsten geklettert sein zu müssen.” Einen Master möchte Maresch erst einmal nicht machen. Was Maresch außerdem wichtig ist und was er anders machen würde, wenn Geld keine Rolle spielen würde, hat er uns bei einem Rundgang durch die Perdoo-Räume erzählt:

Zur Person
NameMaresch Bär
Jahrgang1994
GeburtsortLüneburg
WohnortBerlin
JobHead of Communications, Perdoo
Persönliches Vorbild„Jeder Mensch in meinem engeren Umfeld hat mindestens eine Eigenschaft, die ich mir abgucken oder von der ich lernen kann. Das reicht mir.“
Maresch, was macht Perdoo und was ist deine Aufgabe als Head of Communications?
Perdoo hat eine Software entwickelt, die es mittelständischen und großen Unternehmen ermöglicht, teamübergreifende Ziele zu setzen, zu verknüpfen und Fortschritt zu teilen. Unsere Software basiert auf OKR (Objectives & Key Results), einer Zielmanagement-Methode, die durch Google bekannt wurde. Wir sorgen dafür, dass alle Mitarbeiter*innen an einem Strang ziehen und den Beitrag ihrer Arbeit sehen.
Als Head of Communications bin ich für die Unternehmenskommunikation verantwortlich, das heißt für Öffentlichkeitsarbeit, Social Media, Blogging, Events und weitere Kommunikationsaktivitäten. Kurz gesagt: ich bin dafür verantwortlich, welche Botschaften wir über welchen Kanal an welche Zielgruppe kommunizieren.
Ich schätze, dass mein Chef mir Freiheit und Vertrauen schenkt.“
Maresch Bär
Was magst du an deinem Job?
Ich mag, dass ich den direkten Effekt meiner Arbeit sehen kann. Wenn Menschen unser Produkt und die recht komplexe Methode dahinter durch meine Arbeit – Texte schreiben, Videos produzieren, usw. – verstehen und uns positives Feedback geben, dann ist das ein gutes Gefühl.
Gibt es etwas, das dir nicht so gut gefällt?
In Start-ups sind die Ressourcen und finanziellen Mittel in der Regel begrenzter als beispielsweise im Konzernumfeld. Manchmal wünsche ich mir, einfach eine richtig große Kommunikationskampagne aufsetzen zu können, um noch mehr Menschen mit unseren Inhalten erreichen zu können.
„Wir sitzen hier nicht in Silos und niemand geht blind seiner täglichen Arbeit nach.“
Maresch Bär
Was macht Perdoo als Arbeitgeber für dich besonders?
Wir sitzen nicht in Silos und niemand geht blind seiner täglichen Arbeit nach. Im Gegenteil: Wir haben alle ein gutes Verständnis davon, was die anderen machen und bringen uns in allen Unternehmensbereichen mit ein. Das schätze ich sehr.
Und dein Chef, was macht ihn aus?
Er kontrolliert mich nicht. Er erklärt mir, wohin wir als Unternehmen wollen und überlässt dann mir, welche Maßnahmen ich ergreife. Diese Freiheit und dieses Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, das ist mir persönlich wichtig und darüber bin ich bei Perdoo sehr glücklich.
Kannst du von deiner Arbeit leben?
Ja.
Wie wichtig ist dir Geld und finanzielle Sicherheit im Job?
Finanzielle Sicherheit ist mir extrem wichtig. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ich durch mein Gehalt meine Rechnungen bezahlen kann und für meinen Unterhalt sorgen kann. Darüber hinaus ist mir wichtig, dass ich mir die Qualität an Produkten, z.B. Lebensmittel, leisten kann, die ich haben möchte. Alles, was darüber hinausgeht, ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entscheidend. In zehn Jahren ist das aber vielleicht anders.
„Würde Geld keine Rolle spielen, hätte ich eine 4-Tage-Woche.“
Maresch Bär
Was würdest du machen, wenn Geld keine Rolle spielen würde?
Dann würde ich wahrscheinlich mehr oder weniger dasselbe machen. Nur, dass ich eine 4-Tage-Woche hätte.
Welche Werte haben im Arbeitsleben deiner Eltern eine große Rolle gespielt?
Ich glaube, das Thema Jobsicherheit war sehr wichtig.
Hast du davon etwas von deinen Eltern übernommen?
Diese Sicherheit von Verbeamtung, unbefristeten Verträgen oder etablierten Arbeitgebern ist mir nicht so wichtig. Ich fühle mich auch so ziemlich abgesichert, auch wenn ich vielleicht mal beruflich ein Risiko eingehen würde. Ich denke, meine Generation hat viele Möglichkeiten und ist nicht von Arbeitgebern abhängig.