„Jobsharing macht unsere Arbeitswelt lebensfreundlicher“

„Jobsharing macht unsere Arbeitswelt lebensfreundlicher“

Mit ihrer Software-Lösung und Jobsharing-Plattform verändern die Unternehmerinnen Jana Tepe und Anna Kaiser unsere Arbeits- und Konzernwelt: "Tandemploy" schafft Lösungen für die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen und der dazu passenden Arbeitszeit. Ein Treffen in Berlin.

Nicht einmal Angela Merkel und Joachim Gauck kommen an Anna Kaiser und Jana Tepe vorbei. Die beiden gewinnen mit ihrem Unternehmen Tandemploy Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für sich. Sie treten auf Bühnen auf und räumen einen wichtigen Preis nach dem nächsten ab. Und das zu Recht, denn: Anna und Jana verändern unsere Arbeitswelt. Sie sorgen Tag für Tag dafür, dass Jobsharing ein anerkanntes Modell zur Flexibilisierung unserer Arbeit wird und Einzug in deutsche Unternehmen hält – von Großkonzernen und Behörden hin zu traditionellen Mittelständlern und jungen Start-ups. Sie tragen dazu bei, dass unsere Jobs lebensfreundlicher werden und verändern damit nicht nur Arbeitsstrukturen, sondern vor allem Gesellschaft.

“Wer hat eigentlich festgelegt, dass jeder Job am besten in 40 Wochenstunden passt?” 

Jana Tepe & Anna Kaiser

Seit vier Jahren gibt es Tandemploy. Aus der gemeinsamen Idee, Jobsharing für Unternehmen attraktiv zu machen, ist ein Unternehmen mit 17 Mitarbeitern geworden, das eine HR-Software für flexibles Arbeiten entwickelt hat, die bereits von mehreren DAX30 Unternehmen genutzt wird. Dabei wachsen sie stetig weiter und können sich vor Bewerbern, die für sie arbeiten und an der Bewegung mitwirken möchten, nicht retten. Das hat mit der Sache an sich zu tun, aber vor allem damit, dass Anna und Jana vorleben, was sie predigen:

In dem wunderschönen Tandemploy Büro in Berlin-Mitte wird in höchstem Maße flexibel gearbeitet. Alle 17 Kollegen arbeiten in solch flexiblen Modellen: Aktuell gibt es drei Jobsharing-Tandems, vier Projektteams, drei Freelancer und drei Kolleg*innen mit einer 4-Tage-Woche. Es wird in Aufgaben gedacht, nicht in fixen Stellen.

Willkommen im Büro von Tandemploy
Noch einmal von vorne: Was ist Jobsharing und was macht Tandemploy ganz genau?

Jana: Jobsharing, oder Arbeitsplatzteilung, bedeutet, dass sich zwei Menschen einen Job teilen. So kann ein typischer Vollzeitjob durch zwei Personen ebenfalls in Teilzeit wahrgenommen werden. Beim Jobsharing sind fast alle Kombinationen möglich. Eine Tätigkeit muss also nicht immer zu 50 Prozent oder 20 zu 20 Wochenstunden aufgeteilt werden. Sondern kann auch in 35 zu 25 Wochenstunden – beispielsweise bei Vollzeitjobs, die sowieso eher 60 Wochenstunden erfordern – aufgeteilt werden. Im Idealfall können die Tandempartner, wie wir sie nennen, ihre Arbeitszeit untereinander individuell festlegen.

Was macht Tandemploy dabei?

Anna: Auf unserer Jobsharing-Plattform Tandemploy können sich potentielle Tandempartner finden. Und Unternehmen, die wir fürs Jobsharing gewinnen, unterstützen wir dabei, sich als flexibler Jobsharing-freundlicher Arbeitgeber nach außen zu vermarkten. Darüber hinaus haben wir mit Flex:workz eine HR-Software für unternehmensinterne Strukturen entwickelt, die noch einen Schritt weiter geht: Neben potentiellen Jobsharing-Partnern können Mitarbeiter*innen über Flex:work auch Kolleginnen und Kollegen für ein Mentoring, eine Jobrotation oder ein Projekt finden. Das Tollste daran: Die Software ist mitarbeitergetrieben und wird nicht in erster Linie von HR oder dem Management top-down gesteuert. Jeder kann hier die „Arbeit der Zukunft“ mitgestalten und vor allem konkrete Lösungsvorschläge finden für bestimmte Lebensphasen. Das ist eine ganz andere Ausgangssituation, als wenn Mitarbeiter*innen mit Problemen wie dem Wunsch nach Stundenreduzierung oder einem anderen Aufgabengebiet auf ihren Vorgesetzten zugehen. Neben Beiersdorf und RWE innogy, nutzen mittlerweile schon mehrere weitere DAX30 Unternehmen und Mittelständler die Software, um flexible Arbeit anzubieten. Und das ist erst der Anfang! (lacht)

Anna Kaiser
Zur Person

NameAnna Kaiser

Jahrgang1983

GeburtsortErding

StudiumLehramt

Jana Tepe
Zur Person

NameJana Tepe

Jahrgang1986

GeburtsortMünster

StudiumKommunikationswissenschaft

Warum brauchen wir Jobsharing in unserer heutigen Arbeitswelt

Jana: Weil wir in den Unternehmen immer noch sehr starre Strukturen haben. Die meisten denken noch in Mustern von 5-Tage- oder 40 Stunden-Woche, was natürlich wenig Spielraum für zeitliche Flexibilität lässt. Jobsharing ist ein Weg, um die starren Strukturen aufzubrechen und flexibler und lebensfreundlicher zu arbeiten.

Welche Vorteile ergeben sich für Mitarbeiter?

Jana: Für die Menschen braucht es Jobsharing, damit sie in bestimmten Lebensphasen weniger arbeiten können, ohne gleich den Job wechseln zu müssen. Bisher werden die meisten von uns, wenn sie in einer bestimmten Lebensphase weniger arbeiten möchten oder müssen, immer noch vor eine Entweder-oder-Entscheidung gestellt.

„Jobsharing ist nicht nur für junge Mütter interessant, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Studenten, junge Eltern, Väter, Menschen mit eigenen Projekten, Menschen, die für ihre Gesundheit oder die Pflege ihrer Angehörigen mehr Zeit brauchen.“

Anna Kaiser

Anna: Jobsharing bricht mit dem Schema der typischen Vollzeitjobs und typischen Teilzeitjobs. Indem wir Vollzeitjobs flexibilisieren, machen wir sie auch wieder für die zugänglich, die in einer bestimmten Lebensphase nicht mehr als beispielsweise 25 Stunden arbeiten können oder wollen. Das ist übrigens nicht nur für junge Mütter interessant, wie gern behauptet wird. Jobsharing betrifft die gesamte Gesellschaft. Studenten und junge Eltern, vor allem auch Väter, Menschen mit eigenen Projekten, Menschen, die für ihre Gesundheit oder die Pflege ihrer Angehörigen mehr Zeit brauchen. Oder die im letzten Drittel ihres Arbeitslebens nicht mehr die volle Kraft in den Job stecken können oder möchten.  

Und was bedeutet das für die Gesellschaft?

Jana: Es ist für uns alle erstrebenswert, dass unsere Arbeitswelt, so gut es geht, ein Spiegelbild unserer Gesellschaft wird. Momentan sind wir von diesem Ziel noch weit entfernt. Firmen rekrutieren immer noch am liebsten männlich, weiß und um die 40 Jahre und das entspricht natürlich nicht der gesellschaftlichen Heterogenität. Ein großer Teil unserer Gesellschaft wird hier nicht berücksichtigt. Jobsharing ist ein Modell, das einen Schritt weiter geht.

„Es gibt unzählige Studien, die zeigen, dass wir Deutschen an zwei von fünf Tagen unproduktiv sind. Kein Mensch kann sich acht Stunden am Tag voll konzentrieren. „

Jana Tepe
Welche Vorteile ergeben sich für Unternehmen?

Jana: Unternehmen sprechen durch das Angebot, sich einen Job teilen zu können, Zielgruppen und Personen an, an die sie sonst nicht herankommen würden, weil sie sich in einer Lebensphase befinden, in der sie gerade nicht 40 Stunden arbeiten können oder wollen.

Anna: Darüber hinaus müssen diese Unternehmen auch keine Angst haben, dass ihnen die Mitarbeiter*innen weglaufen, im Gegenteil: Die Wertschätzung und Loyalität, die man seinen Mitarbeiter*innen entgegenbringt, wenn man ihnen zeigt, dass sie ihre Arbeitszeiten an Lebensveränderungen anpassen dürfen, haben einen enormen Effekt auf die Arbeitszufriedenheit.

Jana: Und dann sind wir auch schon bei den Kostenersparnissen für Unternehmen. Je höher die Arbeitszufriedenheit unter den Mitarbeiter*innen, desto geringer natürlich die Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten. Darüber hinaus gibt es auch keine Krankheits- oder Urlaubsausfälle im klassischen Sinne. Die Prozesse werden durch den jeweils anderen Tandempartner am Laufen gehalten. Gleiches gilt für den Fall einer Kündigung. Wenn ein Tandempartner wegbricht, verbleibt das Wissen trotzdem, durch den jeweils anderen Tandempartner, im Unternehmen.

Anna: Am aller Wichtigsten aber: Unternehmen gewinnen mit einem Tandem zwei Köpfe mit unterschiedlichen Ideen, Erfahrungen, Hintergründen und Stärken. Und vor allem auch mit mehr Power. Denn wir wissen ja mittlerweile, dass wir in weniger Wochenstunden verhältnismäßig mehr schaffen.

Die Gründerinnen auf dem sprichwörtlichen Tandem
Die Gründerinnen im Gespräch
Die Gründerinnen von Tandemploy freuen sich über ihren Erfolg
Warum sind wir produktiver, wenn wir weniger arbeiten?

Jana: Es gibt unzählige Studien, die zeigen, dass wir Deutschen an zwei von fünf Tagen im Schnitt unproduktiv sind. Kein Mensch kann sich acht Stunden am Tag voll konzentrieren. Fünf oder sechs Stunden aber schon viel eher. Jeder kennt das aus eigener Erfahrung: an kurzen Tagen im Büro schafft man relativ gesehen meist sehr viel mehr. Ähnlich verhält es sich bei einer 4-Tage-Woche à acht Stunden. Wenn ich beispielsweise am Freitag frei habe, dann gehe ich am Montag sehr viel fitter zur Arbeit.Teilzeitkräfte sind im Schnitt 10 bis 15 Prozent produktiver sind, Jobsharer sogar 30 Prozent. (Quelle: The Job Share Project (UK))

Was sind das für Unternehmen, die Jobsharing offen gegenüber stehen? Gibt es Gemeinsamkeiten? Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur?

Jana: In Bezug auf Branche, Größe oder Region gibt es keine Vereinheitlichung, da ist wirklich alles dabei.

Anna: In Bezug auf die Unternehmenskultur hingegen schon. In der Regel vereint diese Unternehmen, dass sie eine wertschätzende Kultur leben und die Menschen in den Mittelpunkt stellen.  Natürlich gibt es auch Unternehmen, die Jobsharing aus der Not heraus anbieten, weil sie merken, dass sie keine guten Leute mehr für sich gewinnen können. Diese Unternehmen zeichnet aus, Jobsharing offen gegenüberzustehen und zu handeln. Und die meisten Dinge werden schließlich auch erst durch die Notwendigkeit zur Norm.

Wie ist der Ablauf? Wie finden sich die Tandems?

Anna: Menschen, die sich für einen Tandemjob interessieren oder auf der Suche nach einem Tandempartner sind, beantworten auf unserer Plattform 20 kurze Fragen und bekommen auf Basis ihrer Antworten, Vorschläge für ihren perfekten Partner.

„Viele verzichten bewusst auf einen Teil ihres Gehalts, fahren ein kleines oder kein Auto und haben dafür mehr Zeit für Dinge, die ihnen in einer bestimmten Lebensphase wichtiger sind als Geld.“

Anna Kaiser
Wer kann gut zusammenarbeiten? Welche Personen werden von eurem Matching Algorithmus zusammengebracht?

Jana: Bei manchen Fragen ist es besonders wichtig, dass man ähnlich antwortet, beispielsweise bei den Fragen nach dem Ziel und der Motivation oder bei den Fragen nach der gewünschten Intensität der Zusammenarbeit. Bei anderen Fragen ist es eher unwichtig, ob man gleich tickt, zum Beispiel bei der Ordnung auf dem Schreibtisch oder Ähnlichem.

Was entgegnet ihr den möglichen Einwänden, wie zum Beispiel "Jobsharing bedeutet viel zu viel Kommunikationsaufwand"?

Jana: Wir wissen, dass der Kommunikationsaufwand zwischen Jobsharern im Schnitt bei anderthalb Stunden pro Woche liegt. Hierzu gehört gemeinsames Priorisieren, Entscheidungen treffen und Dinge weiterdenken. Ich glaube, das sollte man nicht als Aufwand bezeichnen. Viele Unternehmen möchten ihre offene Kommunikation ja sowieso verbessern.

... "Jobsharing bedeutet Mehrkosten, da zwei Mal Sozialabgaben anfallen"?

Jana: Das ist tatsächlich nur ein minimaler Betrag. Insbesondere, wenn man dem alle Kostenvorteile (siehe oben) gegenüberstellt.

... "Jobsharing ist für Kunden und Kollegen nervig, weil sie zwei Ansprechpartner haben"?

Jana: Das ist alles eine Frage der Vermarktung. Viele Sales Tandems haben beispielsweise eine gemeinsame Visitenkarte. Und die meisten Kunden finden es toll, dass sich zwei Leute um sie kümmern und sie zwei Ansprechpartner haben, egal ob einer im Urlaub oder krank ist. Wir haben ehrlich gesagt noch nie erlebt, dass Kunden negativ reagieren, im Gegenteil.Im Kollegenkreis sind fast immer ein paar dabei, die anfangs skeptisch sind, weil sie denken, dass es für sie nun komplizierter wird. Aber auch das hört auf, sobald sie merken, dass es funktioniert bzw. sie von zwei Ansprechpartnern profitieren.

... "Jobsharing funktioniert organisatorisch nicht, weil Eltern nur am Vormittag arbeiten möchten"?

Jana: Stimmt nicht. Wir erleben, das Jobsharer – mit, und oder ohne Kind – sich sehr flexibel aufteilen. Sobald man die Organisation in die Verantwortung der Jobsharer legt und Eltern die Möglichkeit haben, den eigenen Job flexibel zu gestalten, sind sie mehr als bereit, Zeit entgegenzubringen.

... "Von einem halben Gehalt kann doch niemand leben"?

Anna: Natürlich kann sich das nicht jeder leisten. Das liegt aber vor allem daran, dass viele unserer Jobs total unterbezahlt sind. Andererseits gibt es aber viele Menschen, die sich Jobsharing leisten können, vor allem bei 30 Stunden pro Woche. Es ist ja auch eine Frage dessen, was einem wichtig ist. Viele Menschen verzichten sehr bewusst auf einen Teil ihres Gehalts, fahren ein kleines oder gar kein Auto und haben dafür mehr Zeit für Dinge, die ihnen in einer bestimmten Lebensphase wichtiger sind als Geld.