“Wir sollten nicht ständig nur über das Werkzeug reden, sondern darüber, was wir mit diesem Werkzeug erreichen wollen.” – Ein Gespräch mit KI-Experte Florian Dohmann.
Seit der Einführung von Chat GPT hat die Debatte um Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt noch einmal Fahrt aufgenommen. Zwischen Hype und Endzeitstimmung haben wir KI-Experte Florian Dohmann zum Gespräch getroffen, der bei all dem glücklicherweise einen kühlen Kopf bewahrt.
Florian ist Computerwissenschaftler, Experte für künstliche Intelligenz und digitalen Wandel, Intelligenzarchitekt und Kreativdirektor. Er ist Mitgründer von Birds on Mars, einer Beratungs- und KI-Agentur mit Sitz in Berlin. Die Birds helfen Organisationen dabei, die Zwischenräume von menschlicher Kreativität, maschineller Intelligenz und organisatorischer Identität zu erforschen. Florian ist außerdem als Gastdozent an der UdK Berlin und der HFG Karlsruhe im Bereich KI & Kreativität tätig.
DEARWORK
Florian, bring uns doch bitte zu Anfang auf den neuesten Stand in Sachen KI, den wir durch generative Sprachmodelle wie Chat GPT erreicht haben. Worin besteht eigentlich der Quantensprung? Was ist jetzt anders?
Florian Dohmann
Grundsätzlich sind die Ideen und Konzepte einer künstlichen Intelligenz nicht neu. Seit Anbeginn der Computerwissenschaften beschäftigen sich Forschende damit, inwiefern intelligente Systeme künstlich erschaffen werden können. Auch die Methoden und Grundsätze, die wir heute verwenden, sind nicht unbedingt neu – etwa die sogenannten neuronalen Netzwerke, die sich stark an den Funktionsweisen des menschlichen Gehirns orientieren. KI ließ sich bislang im Wesentlichen auf den Bereich des maschinellen Lernens zurückführen. Also letztlich angewandte Mathematik, gegossen in Software. Um Muster in Bildern oder Texten zu erkennen, und diese Muster dann beispielsweise für Projektionen in die Zukunft zu nutzen.
Der massive Entwicklungssprung kam jetzt mit der generativen KI: die lässt sich einordnen in den Bereich des sogenannten Deep Learnings, also tiefer neuronaler Netzwerke. Die besondere Familie tiefer Netzwerke, die Large Language Models (LLMs), wie sie zum Beispiel bei Chat GPT zum Einsatz kommen, performen vor allem deswegen so gut, weil sie mit unglaublich großen Datenmengen arbeiten bzw. damit trainiert wurden. Und gleichzeitig über sehr viele Parameter und Variablen verfügen. Das sorgt dafür, dass das System kontinuierlich lernen kann.
„ES WIRD FÜR UNS MENSCHEN MEHR UMS KURATIEREN, GESTALTEN, DESIGNEN UND DIRIGIEREN GEHEN.“
Florian Dohmann, Birds on Mars
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Jetzt hast du gerade etwas Spannendes angesprochen, nämlich dass diese Large Language Models auf Feedback angewiesen sind und von ganz vielen Menschen trainiert werden müssen, um besser zu werden. Wenn man so will, ein Rollentausch: plötzlich assistiert der Mensch einer Maschine. Wie werden wir uns Rollen und Aufgaben zukünftig aufteilen?
Florian Dohmann
Es wird für uns Menschen mehr ums Kuratieren, Gestalten, Designen und Dirigieren gehen. Grundsätzlich würde ich sagen, wir werden uns zukünftig viel stärker in Berufen bewegen, die mit Emotionen zu tun haben, wo Empathie eine Rolle spielt. Darin sind Maschinen nämlich wirklich sehr schlecht. Ich denke, wir werden uns auch wieder verstärkt den handwerklichen und sozialen Berufen zuwenden. Und ich hoffe auch darauf, dass diese Berufe eine größere Wertschätzung erfahren werden – nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich. Das hat natürlich auch sehr viel mit dem Ordnungsrahmen zu tun, den wir dem Ganzen geben wollen. Wir haben es in gewisser Weise selbst in der Hand, wie wir Technologie so nutzen und regulieren, damit sie uns Menschen auf positive Weise dient.
Dearwork
Bei Birds on Mars möchtet ihr das kollaborative Moment in den Fokus rücken, Synergien zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz bestmöglich nutzen. Was können wir denn zusammen besser, wann entsteht echter Mehrwert aus der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine?
Florian Dohmann
Grundsätzlich glaube ich einfach daran: Die Menschen werden bleiben und die Maschinen werden auch bleiben. Man muss sich aufeinander einlassen und Empathie füreinander entwickeln. Wir als Menschen müssen uns darauf vorbereiten, wie wir mit Maschinen agieren wollen, wie diese Zusammenarbeit aussehen soll. Gleichzeitig müssen wir Menschen genau wissen, welche Probleme wir mithilfe von Technologie lösen wollen. Für mich ist KI erstmal ein Werkzeug. Wir sollten aber nicht ständig nur über das Werkzeug reden, sondern darüber, was wir mit diesem Werkzeug erreichen wollen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Zusammen mit der Stadt Berlin und dem CityLAB der Technologiestiftung Berlin haben wir ein Projekt umgesetzt, in dem wir vorhersagen, welche Bäume in der Stadt am dringendsten Wasser brauchen. Ziel des Projektes Quantified Trees ist es, zukünftig im wahrsten Sinne nicht mehr mit dem Gießkannenprinzip die Bäume zu bewässern – sondern viel gezielter genau die Bäume, die gerade das Wasser am dringendsten brauchen. Dabei kann KI helfen, weil wir Daten sammeln können, von der Wolke bis zur Wurzel. Wir können berechnen, wie schattig es ist. Wir können die Größe der Baumgruben anhand von Satellitendaten ermitteln. Wir können einzelne Bäume mit Sensorik ausstatten. Und diese Daten können wir nutzen, um eine bessere Vorhersage zu machen, das Gießen zu optimieren und schlussendlich auch Wasser zu sparen. Wieso erzähle ich das? Das alles hat am Anfang erst einmal nichts mit Technologie zu tun, es ist eine Designaufgabe. Man muss sich mit den Menschen zusammensetzen, die sich mit Bäumen auskennen. Man muss sich mit den Bäumen beschäftigen, man muss zu den Bäumen gehen, sie vielleicht auch mal kurz umarmen und sich wirklich empathisch mit dem Problem beschäftigen. Und wenn man dann im Projekt merkt, okay, die Vorhersage trägt am Ende doch nicht so viel bei – dann hätten wir es ohne KI umgesetzt. Das kommt mir im Moment an vielen Stellen im Diskurs ein bisschen zu kurz: Was ist eigentlich das Problem, was wollen wir lösen?
Dearwork
Auf welche neuen (oder alten) Kompetenzen sollten wir uns fokussieren, wenn wir menschliche und künstliche Intelligenzen ideal nutzen wollen? Welche Fähigkeiten brauchen wir, um gut mit KI zusammenzuarbeiten?
Florian Dohmann
Das Lösen realer Probleme ist in unserer komplexen Welt immer eine interdisziplinäre Aufgabe. Im Endeffekt geht es also darum, Teamkompetenzen zu stärken. Zusammenarbeiten zu können, offen zu sein, neugierig zu bleiben für die Verbindungen, die vielleicht auf den ersten Blick gar nicht zueinander passen. Raus aus dem Schubladendenken einzelner Disziplinen, wie es ja leider in unserem Schul- und Universitätssystem noch stark verankert ist. Ich glaube, viel wertvoller wäre es, alle gemeinsam an Problemen zu tüfteln und darüber die einzelnen Disziplinen kennenzulernen. Im KI-Umfeld passiert tatsächlich ganz viel Wissenserwerb in der Praxis, on the job. Man lernt unglaublich viel beim Selbermachen und sollte diese Experimentierfreude unbedingt kultivieren.
„DAS LÖSEN REALER PROBLEME IST IN UNSERER KOMPLEXEN WELT IMMER EINE INTERDISZIPLINÄRE AUFGABE.“
Florian Dohmann
Dearwork
Wie kann man als Führungskraft oder als ganze Organisation mit dem Thema KI starten? Hast du konkrete Empfehlungen für unsere Leser*innen?
Florian Dohmann
Da gibt es natürlich unendlich viele Sachen und die Frage ist immer der persönliche Geschmack und Fokus. Wenn man sich erstmal selbst aufschlauen möchte, würde ich den einen oder anderen Podcast empfehlen, wie zum Beispiel von Lex Fridman. Es gibt auch Online Plattformen wie Coursera oder Ada, wo man praxisorientierte Schulungen machen kann. Denn wie ich schon sagte: selber ins Machen kommen ist sehr wichtig, auch als Organisation!
Wir bei den Birds entwickeln sogenannte “AI-Experiences”, wo KI auf User Experience trifft. Das sind verschiedene Formate, um KI als abstraktes Thema erlebbarer zu machen. Wir haben hier z.B. eine “AI-Adventure”, wo man sich spielerisch dem Thema KI nähert. Und wir machen Projekte, in denen Kinder über das kreative Arbeiten an KI als Schnittstelle zur Kunst herangeführt werden. Was für Kinder gilt, gilt übrigens in der Regel auch für C-Level: Oft braucht es einen ersten Impuls, vielleicht einen kurzen Vortrag bei einem Lunch and Learn-Format o.ä.. Und dann kann man sukzessive schauen: Was sind denn unsere konkreten Anwendungsfälle im Unternehmen? Was sind eigentlich unsere Herausforderungen in der Organisation? An welchen Stellen können wir mit dem Thema KI experimentieren?
Dearwork
Ihr implementiert KI-Lösungen in ganz unterschiedlichen Branchen, für große Konzerne, aber auch in der sozialen Arbeit. Magst du uns von deinem Lieblings-Use Case erzählen?
Florian Dohmann
Da gibt es natürlich ganz viele! Ich kann von einem Projekt erzählen, das wir zusammen mit dem Netzwerk Barner 16 aus Hamburg umgesetzt haben bzw. derzeit weiter entwickeln. Barner 16 ist eine inklusive Einrichtung für Kulturschaffende mit und ohne Beeinträchtigung. Ziel ist es, Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung dabei zu helfen, im kreativen Bereich professionell tätig zu werden. Dafür haben wir ein System namens Kaleidofon entwickelt, um inklusiv miteinander Musik machen zu können. Die KI hilft den Menschen, sich mit ihrer individuellen Sprache und perspektivisch auch körperlichem Ausdruck, u.a. durch Sprach- und Kommunikationslaute, kreativ auszudrücken und so Musik zu machen. Dabei passt sich die künstliche Intelligenz individuell den Möglichkeiten und Vorlieben der Benutzer*innen an. Das zeigt, dass KI eben auch dazu dienen kann, Hürden abzubauen und dafür zu sorgen, das Miteinander zu verbessern, Empathie zu stärken und das Wir-Gefühl in einer Gesellschaft zu fördern.
Dearwork
Können KI-Systeme wertebasiert handeln? Kann man ihnen Moral “beibringen”?
Florian Dohmann
Durch die Daten, die ein KI-Modell nutzt, kann man gewisse “Leitplanken” einziehen. Denn die Maschine ist immer nur so gut wie das, was sie gelernt hat. Das heißt, alle Wertvorstellungen und Normen aus vergangenen Daten werden fortgeschrieben. KI macht also an vielen Stellen nur sichtbar, was im Grunde längst gesellschaftliche Realität ist. Es geht auch hier eher darum, echte Probleme zu benennen, als diese Probleme nur in der Technologie zu vermuten.
Grundsätzlich kann man sagen, dass wir mehr Erklärbarkeit, Offenheit und Transparenz darüber brauchen, welche Daten verwendet werden. Damit wir nachvollziehen können, wie die Algorithmen funktionieren und dann auch im Idealfall kollektiv Einfluss darauf nehmen können. Ranga Yogeshwar sprach in diesem Zusammenhang von einem “Diebstahl an der Menschheit”, denn die Large Language Models basieren ja letztlich auf einem kollektiven Menschheitswissen – mit dem einzelne Konzerne ihre Netzwerke trainieren und daraus Wertschöpfung generieren. Ein wichtiges Anliegen der Open Source-Bewegung ist es also, dieses Wissen allen Menschen zugänglich zu machen.
„KI WIRD IN ZUKUNFT HOFFENTLICH NOCH VIEL MEHR ZUM GESAMTGESELLSCHAFTLICHEN THEMA WERDEN, DAS WIR ALLE ZUSAMMEN NACH UNSEREN WERTEN UND BEDÜRFNISSEN GESTALTEN.“
Florian Dohmann
Dearwork
Lass uns zum Abschluss einen Blick in die Glaskugel wagen: Wie wird KI zukünftig unsere Arbeitswelt verändern? Welche neuen Anwendungsmöglichkeiten erwarten uns?
Florian Dohmann
Ein Bereich, der bald noch stärker kommen wird, ist die Verbindung aus KI und der physischen Welt – also Robotik, Biochemie und Co. Heute konzentriert sich vieles auf Bots wie Chat GPT, neu sind gerade erste Agenten wie Auto GPT. Damit lassen sich nicht nur Fragen beantworten, hier erreicht die Maschine eigenständig ihre Zielvorgaben. Der nächste Schritt ist dann Embedded Reality, wenn diese Agenten also tatsächlich für uns in der realen Welt unterwegs sind und beispielsweise die Hemden aus der Reinigung abholen. Auch da müssen wir uns wieder fragen: Was möchten wir Menschen damit eigentlich erreichen?
KI wird in Zukunft hoffentlich noch viel mehr zum gesamtgesellschaftlichen Thema werden, das wir alle zusammen nach unseren Werten und Bedürfnissen gestalten. Es ist nicht nur ein Thema für die Nerds und die Wirtschaft, sondern für uns alle. Das wäre mein Appell: Nicht nur darüber lesen, sondern selber mit daran arbeiten und das auch einfordern! Wir sollten die Entwicklung der KI nicht nur den Tech Startups und Naturwissenschaftler*innen überlassen.