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“Mehr Vielfalt nimmt dir deine Welt nicht weg, sondern du gewinnst etwas dazu.” – Ein Gespräch mit Ninia LaGrande und Frank Joung.

In Zusammenarbeit mit everyworks blicken wir auf die Megatrends der Arbeitswelt. Für die vierte Folge haben wir die Moderatorin Ninia “LaGrande” Binias und den Journalisten Frank Joung in ihrer Heimatstadt Hannover getroffen. Die These: Die Arbeitswelt der Zukunft ist divers und inklusiv. Wie gut sind deutsche Unternehmen heute schon aufgestellt? Und welche Dimensionen von Diversität werden zu selten mitgedacht?

NINIA „LA GRANDE“ BINIAS

arbeitet als Autorin und Kulturschaffende. Als Moderatorin bespielt sie vor der Kamera und auf der Bühne verschiedene Formate mit den Schwerpunkten Inklusion, Feminismus, Politik und Mode. Sie hostet außerdem den Podcast “All Inclusive” der Aktion Mensch.
FRANK JOUNG

ist Journalist und Unternehmer. Sein Podcast “Halbe Katoffl” ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht-deutsche Wurzeln haben, über deren Alltag zwischen zwei Kulturen. Seine Arbeit wurde 2018 für den Grimme Online Award nominiert.
EINE KOOPERATION MIT EVERYWORKS

Der Tag des Interviews beginnt für uns etwas anders als ein gewöhnlicher Arbeitstag: An Gleis 13 des Berliner Hauptbahnhofs. Wir steigen in den einfahrenden ICE und sind knappe zwei Stunden später am neu eröffneten Co-Working Space von everyworks in Hannover.

Dort treffen wir unsere beiden Gesprächspartner*innen, die sofort anfangen, sich über die lokalen News aus ihrer Heimatstadt auszutauschen. Ninia “LaGrande” Binias lebt und arbeitet in Hannover, kennt alle und jede*n, und weiß bestens Bescheid über die aktuellen Projekte in der Stadt. Frank Joung, Wahlberliner auf Heimatbesuch, hört gespannt zu und fragt interessiert nach.

Wir machen es uns im sonnendurchfluteten Raum mit Blick auf den Ernst-August-Platz gemütlich und starten gleich ins Thema. Denn dazu haben unsere beiden Gäste eine Menge zu sagen.

dearwork

Die These für unser heutiges Gespräch lautet: Die Zukunft der Arbeitswelt ist divers und inklusiv. Wie beschreibt Ihr diese beiden Begriffe und wo liegt der Unterschied?

Frank Joung

Unter Diversität verstehe ich erst mal, dass es verschiedene Perspektiven gibt. Inklusion geht dann noch einen Schritt weiter: Indem unterschiedliche Positionen wirklich einbezogen werden – und nicht nur dabei sein dürfen.

Ninia Binias

Diversität bedeutet für mich, wenn sich alle mit ihren verschiedenen Blickpunkten respektieren. Inklusion beschreibt noch einen Schritt mehr. In einem Vortrag hat mal jemand gesagt, Inklusion ist nicht nur, dass behinderte Menschen mit am Tisch sitzen, sondern dass sie bestimmen, was es zu essen gibt.

“BEI VIELEN IST NOCH NICHT ANGEKOMMEN, DASS DIVERSITÄT UND INKLUSION NICHTS MIT WOHLTÄTIGKEIT ZU TUN HABEN.”

Frank Joung, Journalist
Dearwork

Frank, in der ZDF-Sendung 37 Grad hast du einmal gesagt, dass du kein Freund des Integrationsbegriffs bist. Was stört Dich daran?

Frank Joung

Ich finde diesen Begriff veraltet, weil er von Kategorien wie Deutsch und Nicht-Deutsch ausgeht und sich auch auf Deutsche mit Migrationshintergrund bezieht. Von mir wurde früher verlangt, dass ich mich integrieren soll, weil ich anders aussehe. Weil ich koreanische Eltern habe. Ich bin aber schon immer hier gewesen, so wie du auch. Also warum muss ich mich jetzt anders verhalten als du? So gesehen müssten wir uns alle in die Gesellschaft integrieren.

Dearwork

In der Arbeitswelt sind Diversität und Inklusion zu Buzzwords geworden. Wie weit sind wir aus Eurer Sicht wirklich?

Ninia Binias

Das kommt auf die Kategorie an, die wir betrachten. Ich habe häufig das Gefühl, dass wir beim Thema Diversität hauptsächlich darauf schauen, wie viele Frauen es im Unternehmen oder in Führungspositionen gibt. Für mich ist das auch wichtig, aber die Frauenquote in den Vorständen von irgendwelchen DAX-Unternehmen macht die gesamte Arbeitswelt noch lange nicht diverser. Man muss genauso auf andere Dimensionen der Diversität achten: Wo kommen meine Leute eigentlich her, was haben die für Erfahrungen? Was sprechen sie für Sprachen? Wo sind sie aufgewachsen? Was für einen Bildungshintergrund haben sie? Wie viele Kinder haben sie? Und dann natürlich auch, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Ich glaube, in den letzten Jahren ist viel passiert, aber wir haben auch noch viel vor uns. In Gesprächen mit Unternehmen bekomme ich oft das Gefühl, dass sie bei Diversität und Inklusion an eine To-Do-Liste denken, die man nur abhaken muss. Danach ist das Unternehmen dann divers und man muss nie wieder irgendetwas tun. Aber so ist es nicht.

Frank Joung

Viele Unternehmen denken, dass Diversity nur ein Trend sei. So wie vor zehn Jahren, als gesagt wurde, man müsse jetzt irgendwas mit Facebook machen (lacht). Bei vielen ist noch nicht angekommen, dass Diversität und Inklusion nichts mit Wohltätigkeit zu tun haben. Sondern ein absoluter Gewinn für jedes Unternehmen sind, wenn sich verschiedene Perspektiven einbringen können.

Ninia Binias

Aus meiner Sicht fehlt vielen Unternehmen die Erkenntnis, dass ihre potenzielle Käuferschaft auch divers ist. Ich interessiere mich zum Beispiel automatisch mehr für Unternehmen, deren Behindertenquote bei 20 Prozent liegt. Da denke ich: ‘Okay krass, wie habt ihr das denn gemacht?’ Da kaufe ich doch lieber ein als bei einem weniger engagierten Anbieter.

Dearwork

Inwiefern spielt dabei die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien eine Rolle?

Frank Joung

Das findet viel zu wenig statt. Nach dem Motto: ‘Wir sind doch offen, wir haben doch keine Schranke, auf der steht: Bitte keine People of Colour oder Menschen mit Behinderung.’ Was Unternehmen aus ihrer privilegierten Situation heraus aber nicht verstehen, ist, dass man heute noch sehr aktiv auf diese Gruppen zugehen muss und nicht einfach sagen kann, dass ja jede*r kommen darf. In einen Laden, aus dem einen Leute mit verschränkten Armen anschauen, geht man ja auch nicht gern hinein.

“DAS IST EIN BISSCHEN WIE BEI BEZIEHUNGEN: MAN MUSS SICH AUF VERSCHIEDENHEIT EINLASSEN UND MANCHMAL KOMPROMISSE SCHLIESSEN.“

Ninia Binias, Moderatorin
Ninia Binias

Ich für meinen Teil habe den Eindruck, dass es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen mit der Inklusion fast besser läuft als bei den ganz Großen. Ich habe dieses Jahr den Inklusionspreis für die Wirtschaft moderiert und da wurde ein Bäckereibetrieb aus Werda ausgezeichnet, der einen begehbaren Holzofen gebaut hat für Mitarbeiter*innen im Rollstuhl. Dagegen gibt es bei vielen Unternehmen häufig noch eine Verweigerungshaltung, selbst etwas zu ändern. Und gleichzeitig die Erwartung, dass ‘die Anderen’ sich den Abläufen anpassen müssen. Diese Bäckerei hat ihre Abläufe aber ganz aktiv an die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden angepasst. Das ist ein bisschen wie bei Beziehungen: man muss sich auf Verschiedenheit einlassen und manchmal Kompromisse schließen.

Frank Joung

Zu überlegen, wie man es für andere attraktiver gestalten kann, geht den meisten Arbeitgeber*innen schon zu weit. Dahinter steckt ein Menschenbild von: ‘Wir sind okay und ihr seid nicht okay.’ Dankbarkeit zu erwarten, weil man jemanden ‘aufgenommen’ hat, ist der falsche Weg.

Dearwork

Viele Formen von Diskriminierung sind bei uns allen internalisiert. Wie geht Ihr damit um?

Frank Joung

Es sollte nie ein Fingerzeigen auf irgendwen sein, und dann ist das auf ewig falsch und muss gecancelt werden. Sondern es geht darum, dass man im Gespräch bleibt und voneinander lernt. Alle machen Fehler und haben irgendetwas nicht auf dem Schirm.

Ninia Binias

Zuhören wäre auch meine Antwort. Ich habe einmal geschrieben, ich bin jeden Tag Anwältin in eigener Sache. Ich kann als Kleinwüchsige eben nicht aufstehen und sagen, heute bin ich mal 1,70 m groß, weil ich keinen Bock habe, dass mich jemand anguckt. Ich muss mich immer erklären in irgendeiner Form. Und deswegen finde ich das Zuhören so wichtig. Und zwar ohne dem Gegenüber die eigenen Erfahrungen abzusprechen! Manchmal höre ich von Leuten im Gespräch: ‘Für mich bist du gar nicht behindert.’ Das ist bestimmt nett gemeint, aber wird meiner Realität einfach nicht gerecht.

“AM ENDE WILL JEDE*R SO GESEHEN WERDEN, WIE ER ODER SIE IST.”

Frank Joung

Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch ganz viel internalisiert, auch beim Thema Behinderung und wahrscheinlich erst recht bei rassistischen oder antisemitischen Thematiken. Wo ich immer noch total viel dazulerne und auch lerne, wie man um Entschuldigung bittet. Weil sich natürlich auch Ansprüche und Situationen ändern. Heute lerne ich von Leuten, die zehn Jahre jünger und viel wütender sind als ich, immer wieder dazu, zum Beispiel wenn sich Wordings ändern.

Frank Joung

Am Ende will jede*r so gesehen werden, wie er oder sie ist. Oft begegnet mir aber eher so eine Haltung: ‘Ich konnte es erfolgreich ignorieren, dass du asiatisch bist und deswegen funktioniert das für mich.’ Das willst du ja nicht, sondern du willst so angenommen werden wie du bist.

Dearwork

Wo wir wieder beim fragwürdigen Begriff der Integration wären …

Ninia Binias

Ein Beispiel: Als ich in der Talkshow Kölner Treff eingeladen war, stand in meiner Garderobe ohne weitere Erklärung ein Hocker vor dem Waschbecken, damit ich in den Spiegel schauen kann. Eine Redakteurin hatte den von Zuhause mitgebracht, den da hingestellt und nicht weiter darüber gesprochen. Das war cool. Zugehört, umgesetzt, aber jetzt auch keinen Applaus dafür erwartet.

Dearwork

Das führt uns zum Thema Arbeitsplatz. Könnt Ihr uns einen Einblick geben, was Unternehmen wirklich tun können, um Arbeitsorte inklusiver zu gestalten?

Ninia Binias

Zunächst müssen wir festhalten, dass es sichtbare und nicht sichtbare Einschränkungen gibt. Und dass natürlich kein*e Arbeitnehmer*in dazu verpflichtet ist, über die eigene Behinderung Auskunft zu geben. Mein Rat an Unternehmen ist daher immer, Betroffene selbst gestalten zu lassen. Man kann zum Beispiel in der Belegschaft einen Aufruf starten und nach Erfahrungen und Bedürfnissen fragen. Es gibt mittlerweile aber auch spezialisierte Beratungsfirmen für Barrierefreiheit, die man gerne engagieren darf (lacht). Gleichzeitig finde ich es natürlich auch als Geste schön, wenn ich nicht selber auf alles aufmerksam machen muss. Sondern wenn mich jemand anspricht und sagt: ‘Moment mal, die Kaffeemaschine ist ja viel zu hoch, sollen wir die nicht mal woanders hinstellen.’

Frank Joung

Ich glaube generell, dass ein gutes Unternehmen sich dadurch auszeichnet, dass es seine Mitarbeiter*innen als Individuen kennenlernen möchte. Die sagen, okay, wir haben hier Eltern, wir haben hier Singles, wir haben Menschen mit Behinderung, wir haben Menschen, die andere Feste feiern als wir. Da geht es einfach um Respekt. Da kann man einfach mal nachfragen: was braucht ihr, was können wir anbieten, wie kommen wir zusammen? Dann ist es ein Win-Win für alle Seiten.

Dearwork

In welche Richtung müssen sich Unternehmen entwickeln, um eine – wie Ihr sie nennt – ‘Willkommenskultur’ zu leben?

Ninia Binias

Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen, sagt immer, dass es in naher Zukunft einfach uncool und vor allem unwirtschaftlich sein wird, wenn man keine inklusive Willkommenskultur hat. Das bedeutet für Unternehmen, ihre Verweigerungshaltung abzulegen. Dass ich mich nicht schon im Vorstellungsgespräch erklären muss, weil ich nicht deutsch aussehe oder einen Assistenzhund dabei habe. Arbeitgeber*innen sollten Bock haben auf meine Perspektive und auf das, was ich einbringe. Und wenn es da vielleicht an meinem Schreibtisch nicht genug Platz für diesen Hund oder für meinen Rollstuhl gibt, dann schauen wir mal, ob wir das irgendwie anders machen können. Da ist sogar der öffentliche Dienst schon weiter als viele private Unternehmen, einfach weil es gesetzlich vorgeschrieben ist.

“KAMPF UND AKTIVISMUS BRAUCHEN WIR IMMER, ABER EIGENTLICH IST ES SCHADE, DASS WIR DAS BRAUCHEN.”

Ninia „LaGrande“ Binias
Dearwork

Jetzt hast Du schon politische und strukturelle Rahmenbedingungen angesprochen, Ninia. Anders gefragt: Brauchen wir eher mehr Kompromisse oder mehr Kampf beim Thema Inklusion?

Ninia Binias

Kampf und Aktivismus brauchen wir immer, aber eigentlich ist es schade, dass wir das brauchen. Eigentlich ist es schade, dass wir hier sitzen (lacht) und für Rechte kämpfen müssen, die selbstverständlich sein sollten. Sind sie aber nicht, deswegen müssen wir was machen. Und das muss nicht zwangsläufig eine starre Quotenregelung sein, das meine ich gar nicht. Sondern dass man zum Beispiel bei Auftragsvergaben oder Investments darauf achtet, wie divers ein Team aufgestellt ist. Oder dass in Bauanträgen auf Barrierefreiheit geachtet wird. Das funktioniert in anderen Ländern bereits viel besser. In Großbritannien ist die Privatwirtschaft komplett zu Inklusion verpflichtet, da haben alle mindestens eine mobile Rampe, damit behinderte Menschen in ihr Geschäft kommen können. Das ist hier immer noch undenkbar. In Deutschland kaufen sich Unternehmen einfach über die sogenannte Ausgleichsabgabe frei, wenn sie zu wenige behinderte Menschen beschäftigen. 

Frank Joung

Diversität und Inklusion wird ja meistens als Quote verstanden. Nach dem Motto: Es reicht doch, wenn wir einen ‘von der Sorte’ haben. Es gibt diese Werbeplakate, darauf sind eine Asiatin, ein Schwarzer und vier Weiße, und das ist dann Diversität. Aber umgekehrt geht es nicht, das ist dann komisch. Was dahinter steckt ist schlichtweg eine Hierarchisierung von verschiedenen Menschen.

Dearwork

Was sagt Ihr Menschen, die sich von den Forderungen nach mehr Inklusion überfordert fühlen?

Frank Joung

Ich versuche immer erst mal Verständnis aufzubringen. Es spielt ja auch eine gewisse Scham mit rein, wenn man merkt, man kann nicht mitreden, ist ja peinlich eigentlich. Und da entwickelt man eine Abwehrhaltung, man will sich vor dieser Scham schützen. Aber man muss sich nicht schämen. Solange man offen ist und dazulernen will. Einfach mal zuhören, annehmen, verdauen und darüber nachdenken, damit ist ja schon viel geholfen. Manchmal erscheinen auch die eigene Verantwortung und die eigenen Privilegien übergroß. Wenn man Nachrichten aus anderen Ländern sieht, will man von Armut und Krieg manchmal gar nichts wissen, weil man dann auch eine Verantwortung hat damit umzugehen. Manchmal hat man eben Bock, einfach nur einen Kaffee zu trinken und nicht über Inklusion zu reden. Aber viele, die sich damit beschäftigen, die davon betroffen sind, haben das ihr Leben lang. Die müssen sich jeden Tag erklären und müssen es anderen erklären und im schlimmsten Fall müssen sie sich rechtfertigen – und jetzt seid ihr mal dran und dann hört man: ‘Ist ja voll anstrengend, dieses Rassismus-Ding.’ Ja, auf der anderen Seite ist es noch schlimmer, ehrlich gesagt.

“EIN MEHR AN VIELFALT NIMMT DIR DEINE WELT NICHT WEG, SONDERN DU GEWINNST ETWAS DADURCH.”

Frank Joung
Ninia Binias

Ich frage auch manchmal: ‘Was genau überfordert dich jetzt?’ Meistens können die Leute das nicht genau benennen. Das ist dann so ein diffuses Gefühl oder: ‘Ich weiß nicht, was ich noch sagen darf.’ Dann antworte ich, du darfst alles sagen, du musst nur damit leben, genau wie ich, dass Menschen sagen werden: ‘Sorry, diese Wortwahl geht nicht.’ Und dann nehme ich das mal für mich mit und gut. Und es ist ja auch total okay, zu sagen, dass einen etwas überfordert.

Frank Joung

Ein Mehr an Vielfalt nimmt dir deine Welt nicht weg, sondern du gewinnst etwas dadurch.Viele haben aber noch das Gefühl, alles was sie kennen und wissen, geht plötzlich den Bach runter.

Dearwork

Zurück zu unserer Ausgangsthese: Wo sind wir schon auf einem guten Weg in Richtung einer inklusiven und diversen Arbeitswelt? Und wo muss noch mehr gehen?

Ninia Binias

Also wenn wir über Inklusion und Behinderung sprechen, dann machen wir in letzter Zeit auf jeden Fall Schritte nach vorne was den öffentlichen Diskurs angeht. Mit der neuen Regierung soll so etwas wie ein Mindestlohn und eine vernünftige rechtliche Absicherung für die Beschäftigten in Behinderten-Werkstätten entstehen. Dass wir hier sitzen und darüber sprechen, und Unternehmen teilweise von den eigenen Mitarbeiter*innen richtig unter Druck gesetzt werden, das ist ja der erste Schritt. Deshalb bin ich schon optimistisch. Aber ohne mehr rechtliche Vorgaben wird nicht genug passieren. Aber wie gesagt, wer sich als zukunftsweisend und modern begreift, der wird um dieses Thema nicht herumkommen – und der will um dieses Thema auch nicht herumkommen.

Frank Joung

Vor ein paar Jahren gab es noch mehr Ablehnung. Heute spüren Unternehmen mehr Druck und Verantwortung für das Thema. Und sie sehen andere Unternehmen, die es schon richtig machen, die Vorbilder sind. Aber auch die Politik muss helfen – und zwar schon von Anfang an auf dem ganzen Bildungsweg. Das dauert natürlich eine Weile bis das Früchte trägt. Was schon jetzt gut läuft: es gibt immer mehr Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, die in Entscheider*innen-Positionen sind. Und die es in ihren Teams anders machen. Denn Repräsentation ist einfach wichtig. Und in Zeiten von Social Media ist Repräsentation noch einfacher geworden.

Ninia Binias

Der Druck in Social Media spielt eine große Rolle. Natürlich kann das auch negativ sein, und manche Reaktionen in Kommentaren schießen über jedes Ziel hinaus. Aber es ist eben auch positiv: Es gibt doch heute kaum noch ein Pressefoto eines Unternehmens, auf dem ausschließlich weiße Männer zu sehen sind. Wenn meine Mutter mich empört anruft und sagt: ‘Wieder vier Männer bei Anne Will‘, dann ist das ein Riesenschritt!

Dearwork

Gibt es für euch einen besonderen Ort der Vielfalt hier in Hannover?

Frank Joung

Mir fällt spontan der Pavillon ein.

Ninia Binias

Absolut, der Pavillon ist ein Ort, an dem viele verschiedene Leute zusammen Kultur gestalten. Übrigens das einzige große Kulturzentrum, das barrierefrei erreichbar ist. Als Veranstaltung besonders divers empfinde ich auch immer das Fährmannsfest in Linden. Da kommen Menschen mit jeglicher Behinderung hin, und bekommen einen Lotsen an die Seite. Nicht zu vergessen: unser Rathaus, das ein besonderer Begegnungsort für viele unterschiedliche Menschen ist.